Tim Raue**
Tim Raue stand schon länger auf unserer Wunschliste, weil er für seine unverwechselbare, geschmacksintensive, kreative und aromareiche Küche bekannt ist. Also genau unser Ding! By the way, das ist schon unser zweiter Besuch beim Tim Raue, das Fazit kann somit gar nicht so schlecht ausfallen. Das Restaurant befindet sich in Kreuzberg in der Gegend um den Checkpoint Charlie, einem historisch bedeutenden Ort in Berlin.
Der Eingang des Restaurants liegt in einem Innenhof. Auffallend ist die Plakette für World’s 50 Best Restaurants, welche ein Stück original „Berliner Mauer“ schmückt und ein sehr beliebtes Fotomotiv ist. Die internationale Auszeichnung ist wahrscheinlich auch der Grund, warum so viele internationale Gäste das Restaurant aufsuchen. Das hatten wir tatsächlich noch in keinem anderen Sternerestaurant so stark ausgeprägt erlebt.
Das Entrée, die Inneneinrichtung dominiert von der Farbe Blau sowie das gesamte Konzept des Gourmetrestaurants unterscheiden sich ebenfalls von so vielen anderen eher klassischen Sternerestaurants wie Adlon, Bareiss, Haerlin und ähnliche. Die urbane Atmosphäre und auch die lockere Art des Servicepersonals finden wir jedoch erfrischend und auch absolut passend zum unkonventionellen Kochstiel des Gastgebers.
Selten wird mit dem Gruß aus der Küche eine eigene Menükarte gereicht. Bei dieser Anzahl an kleinen Leckerbissen ist es aber auf jeden Fall zielführend. Zu meinen Favoriten zählten der extrem geschmacksintensive Krustentiersud während der Marshmallow mit seiner fluffigen Konsistenz und dem schmelzigen Gefühl auf der Zunge überraschte.
Wir haben uns für 8 Gänge entschieden. Die Reise beginnt mit einer vegetarischen und sehr erfrischenden Vorspeise bestehend aus süß-sauer mariniertem Kohlrabi, Erbsencreme & Sauerrahm, gepulten Erbsen, peruanischer Minze, Schnittlauch Öl und geeister Limonade von grünem Meerrettich.

Die zweite Vorspeise in Form von gedämpftem Seehecht mit Beurre blanc & Mayonnaise von Mimi Ferments Miso, Knollenselleriepüree mit Habanero, Zeste & Gelee von Mandarine, Senföl, Rübchen mit eingelegtem Kurkuma und gekochtem Ingwer ist vollmundig und harmonisch lediglich ein Paar Geschmacksspitzen blitzen hier und da auf.

Mit gekochter Mazara Garnele, Rosa Pfeffer, marinierten weißen Erdbeeren & Püree von roten Erdbeeren mit Chili, gepickeltem Rhabarber & Rhabarber Sud getoppt von Koriander Öl geht es ohne Verzögerung weiter.

An dieser Stelle muss man wirklich anmerken, dass der Service sehr stukturiert ist. Obwohl man von verschiedenen Personen bedient wird, gibt es keine Wartezeiten, Verwechselungen oder ähnliche Dinge, die passieren können, wenn Menschen am Werk sind. Diese extreme Professionalität führt leider dazu, dass man zum Personal kaum persönliche Beziehung aufbauen kann, weil jegliche Interaktionen mit dem Gast auf Effizienz ausgerichtet ist. Das Gourmetrestaurant ist relativ groß, vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass organisiertes Serviceumfeld Vorrang vor persönlichen Beziehungen hat.
Nach diesem kurzen Exkurs geht es weiter mit Dim Sum von Bambuspilz, Fischfarce & Jakobsmuschel, Creme & Öl von Blattpetersilie, eingelegter Petersilienwurzel, Yuzu & Grüne Chili Paste, Yuzu Marmelade, Zitronenöl, Suppengemüse, Hühnerbrühe verfeinert mit Buddha’s Hand.

Meine Begleitung genießt parallel eines des Signature Gerichte von Tim Raue den Wasabi-Kaisergranat, welches ebenso wie die Ente Marie-Anne optional zum regulären Menü gegen Aufpreis zugebucht werden kann. Dieser Klassiker wird im Wok gebraten, mit Wasabi Mayonnaise mariniert und mit frittiertem grünem Reis verziert. Das Kaiserliche Krustentier wird mit einem Sud von Nuoc Mam, Karotte und Mango serviert. Genau solche kreative Kombinationen aus Schärfe und exotischen Aromen verleihen den Gerichten von Tim Raue seine einzigartige und unverwechselbare Handschrift. Probiert dazu den Lei Sake von der Brauerei Katsuyama, seine fruchtige und eleganten Aromen sowie die milde Säure passen perfekt zu diesem Gang.

Das nächste Gericht war für mich ein Grund innerhalb eines halben Jahres noch mal zum Tim Raue zu gehen. Das Berliner Eisbein vom Spanferkel nach dem Rezept von Oma Gerda Raue mit Creme von japanischem Senf, gesalzenem & gesäuertem Ingwer à la Araki, Dashi Gelee, Accia Püree von gelben Erbsen war einfach vollkommen! Wenn man das Dashi und den Ingwer kurz ausblendet, dann erinnert mich diese Art Milchferkel mit dem zarten Fleisch und der köstlichen knusprigen Schwarte an ein Traditionsgericht von Sardinien, welches meine Oma Salvatorica mit ihren 92 Jahren immer noch so zubereitet. Mit einem Unterschied, in Sardinien werden die Miniferkel am Stück gebraten und in die Tischmitte gestellt, damit die ganze Familie dran zupfen kann. Tim’s Oma Gerda ist gebürtig sicher nicht von Sardinien, aber offensichtlich haben wir an dieser Stelle eine vergleichbare Erinnerung an eine vertraute Rezeptur eines eigentlich so einfachen und bodenständigen Gerichts. Großes Kino!

Bleu gebratenes Taubenfilet anzubieten ist genauso mutig wie das zuvor beschriebene Spanferkel. Dieser Mut wird belohnt! Die Taube war von hervorragender Qualität und perfekt zubereitet! Serviert mit Jus & Knuspergebäck, Öl mit grünem & rotem Sichuan Pfeffer, Gelee & marinierte Johannisbeeren, Püree & sautierter Kohl, Sudachi Gelee und Entenleberrahmsoße.

Inzwischen haben wir 21:30 Uhr als das zweite Signature Gericht – die Ente Marie-Anne – auf 3 verschiedenen Tellern serviert wird. Dazu kombiniere ich die passende Weinbegleitung, welche ebenfalls aus 3 verschiedenen Weinen besteht. Dabei ist es wichtig die Reihenfolge einzuhalten, damit die Weine zu dem jeweiligen Gericht passen. Wir haben einerseits Entenbrust mit knuspriger Haut, Jus von Entenfüßen, Creme von Five Spice Pfannkuchen, Lauch & Apfelkompott. Andererseits die Terrine von der Entenleber mit gezupftem Salat von Entenfleisch, Kopfsalat, Gurke & Lauch und Ingwer. Komplettiert wird das Konvolut mit Sud von der Entenkarkasse mit Zitronenblatt, Chawanmushi, Entenklein, Bambuspilz & Wintermelone und Staudensellerie, Schnittlauch Öl.

An dieser Stelle bin ich heil froh zu wissen, dass Tim Raue für seinen asiatisch geprägten Kochstiel bekannt ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass man schwere Schokolade zum Dessert bekommt ist daher sehr gering. Das lässt mich wirklich aufatmen. Schokolade würde nach dieser ausgiebigen Speisefolge einfach keinen Platz mehr in meinem Magen finden. Was erfrischendes, Fruchtiges mit einer ausgeprägten Säure wäre dagegen ein schöner Abschluss und genau so kommt es auch. Kaffirlimetten Sorbet mit Cremeux, Gel & Frischer Nam Dok Mango, Kopfsalat & Gurkensud, Creme & Eis und Chips von geröstetem Reis sowie Sedum in Vanille-Zitronengras Öl. Süße, Schärfe, Säure und Bitterkeit perfekt ausbalanciert so mag ich es!

Und auch bei Petits fours bleibt Tim Rauen seinem Kochstiel treu. Auch hier sucht man Schokolade vergeblich.

Fazit: Bevor ich ein drittes Mal zum Tim Raue gehe, werde ich sicher erst mal einige andere Restaurant ausprobieren. Bis dahin werden einige Jahre vergehen, das ist auch gut so. Denn so ein genussvoller Abend profitiert auch stark von überraschenden Momenten. Wenn man die Gerichte zum zweiten Mal verkostet, kann man sie zwar intensiver genießen, neue kulinarische Erlebnisse bleiben dabei weitestgehend aus.
Mein persönlicher Tipp für Weinliebhaber: Wenn Ihr Zeit habt, könnt ihr zur Einstimmung auf den grandiosen Abend bei Planet Wein am Gendarmen Markt 1 bis 2 Gläschen hervorragenden Wein oder Champagner, übrigens auch draußen, genießen und anschließend zu Fuß (ca. 600 Meter) zum Restaurant Tim Raue spazieren.